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Bevor ich zur Leica M9 wechselte, hatte ich von allen Objektiven das 50mm am wenigsten benutzt. Dies änderte sich mit der Leica M9 und dem Summilux 50mm Asph. Nach und nach wurde es neben dem 35mm Summilux Asph zu meinem Standard-Objektiv. Allerdings war ich nie besonders angetan vom recht groben Bokeh des Summilux 50mm und die Farben empfand ich immer als zu kalt. Also habe ich mich entschieden das legendäre Noctilux auszuprobieren, obwohl ich den Preis wirklich problematisch finde.
Ich habe ein gebrauchtes aber neuwertiges Noctilux gekauft und es zu Leica gesendet, damit es an meiner Leica M Typ 240 kalibriert wird. Das wurde von Leica kostenlos durchgeführt. Der Preis für das Noctilux f0,95 liegt mit 9.000 Euro (neu) oder ca. 6.500 Euro (gebraucht) jenseits der Vernunftsgrenze. Nun habe ich seit sechs Monaten das Noctilux f/0,95 und möchte meine Eindrücke schildern.
Ich habe einen Bilder-Vergleich mit dem Noctilux und dem Summilux 50mm Asph hier  gepostet.
Eine Gallerie mit vielen Noctilux-Bildern ist hier.
Alle Bilder wurden mit Capture One 8 Pro bearbeitet und teilweise etwas beschnitten.
Die Größe
Beim Auspacken des Objektivs war ich zuerst geschockt wie groß und schwer es ist. Es ist äußerst gut verarbeitet und gebaut für die Ewigkeit. Aber insgesamt wirkt es etwas unpassend an der Leica M. Beim Summilux hält man eine Kamera mit Objektiv – beim Noctilux dagegen trägt man ein Objektiv mit Kamera.
Nun komme ich vom Mittelformat und bin schon mit einer Mamiya RZ plus Stativ und einem Sack voller Filme durch die Berge gewandert. Aber das Leica M typische Gefühl einer kompakten Kamera ist erst mal weg. Zum anderen war es schon immer ein Vorteil des Leica M Systems unauffällig agieren zu können. Auf der Straße oder bei Portraits fühlt sich niemand von der Kamera bedroht. Mit dem Noctilux allerdings verändern sich die Blicke der Menschen. Die Leute nehmen das Gerät als Kamera wahr und fühlen sich beobachtet. Für mich ist das ein deutlicher Nachteil.
Das Scharfstellen
Das Scharfstellen ist beim Noctilux genau so schwer oder leicht wie bei einem Summilux, abgesehen von der spürbar größeren Masse die man bewegen muss. Wer ein Noctilux hat will natürlich mit offener Blende fotografieren und da ist, sogar bei größeren Distanzen, die Schärfentiefe äußerst gering. Man muss schon auf den Punkt scharfstellen.
Bei der Leica M240 gibt es die Möglichkeit, den elektronischen Sucher mit seiner Zoomfunktion zu nutzen. Das ist bei stehenden Motiven hilfreich, aber bei sich bewegenden Objekten ist die zeitliche Verzögerung zwischen Sucherbild und Motiv so groß, dass man quasi immer den richtigen Moment verpasst.
Sich frontal bewegende Objekte scharf zu stellen, ist eine Herausforderung. Ich bewege blind den Fokussierring synchron zur Bewegung des Objekts. Man braucht ein Gefühl dafür, wie viel Drehung der Bewegung des Objekts entspricht. Da man dabei die Fokussierung im Sucher nicht überprüfen kann, löst man am besten mehrfach aus und hofft auf einen Treffer.
Das Bokeh und Schärfentiefe
Das Noctilux ist scharf, sogar wenn es ganz geöffnet ist. Zum Rand hin wird es weicher, was offen kein Problem ist, denn durch die geringe Schärfentiefe hat man den Rand quasi immer unscharf. Nur wenn man das Objekt ganz an den Rand schiebt spielt das eine Rolle, was bei mir aber äußerst selten vorkommt. Das Summilux ist schärfer im Randbereich aber das empfinde ich als vernachlässigbar.
Das Bokeh, also der unscharfe Bereich, des Noctilux ist weich und fließend. Von meinem Eindruck her ist es viel angenehmer als beim Summilux.  Je nach Distanz kann man Objekte wunderschön freistellen ohne den Hintergrund zu verlieren. Die Schärfe verläuft wunderbar fließend in die Unschärfe. Der unscharfe Bereich behält einen ausgeprägten Kontrast und so wirkt das Bild über den ganzen Bereich lebendig und dynamisch.
Eine typische Fotografier-Entfernung ist bei mir 3 Meter. Bei drei Meter habe ich einen scharfen Bereich von 20 cm. Das heißt, eine Person ist gerade so scharf aber nicht mehr. Mit dem Summilux 50mm Asph. habe ich einen Bereich von 31 cm was auch nicht gerade viel ist. Bei 5 Metern hat das Noctilux eine Scharfentiefe von 57 cm und das Summilux 88 cm. Der Unterschied ist, wie die Schärfe in die Unschärfe verläuft, und das wirkt beim Noctilux für mein Empfinden natürlicher.
Wer besonders auf eine geringe Schärfentiefe aus ist sollte vielleicht mal das APO Summicon 75mm testen. Bei 5 Metern ist hier die Schärfentiefe 59 cm was ziemlich genau dem Noctilux entspricht. Es wiegt viel weniger (430 g) und kosten gerade mal ein Drittel. Allerdings ist es ein 75mm und das ist eben nicht das Gleiche.
Die Farben
Die Farben des Noctilux sind tendenziell warm und kräftig und wirken natürlich. Im Vergleich dazu wirken die Farben des Summilux kühler.
Mir gefällt die Dynamik in den Bildern. Die Kombination aus Farben, Kontrast und Bokeh ist perfekt abgestimmt. Die Bilder wirken Klar und lebendig und weniger technisch als beim Summilux.
Graufilter
Wer am Tage weit offen fotografieren will braucht einen Graufilter, um mit der kürzesten Zeit von 1/4000 nicht überzubelichten. Leider bietet Leica keine adäquaten Graufilter für die lichtstarken Objektive an. Das empfinde ich als ärgerlich, da in der Leica-Welt eine offene Blende nicht Fotografieren im dunkeln bedeutet, sondern kreatives Gestalten. So bin ich gezwungen, auf ein so hochwertiges Objektiv einen 80 Euro Filter zu schrauben und frage mich die ganze Zeit wie viel Qualität ich damit verliere.
Ich habe Filter von Heliopan und B+W ausprobiert.  Den Vario ND Filter von Heliopan (62mm) habe ich gleich wieder verworfen, weil er die Farben verändert hat und stark abschattet. Außerdem passte die Gegenlichtblende nicht über den Filter. Ich habe mich für die B+W Filter 102,103 und 106 MRC entschieden. Die haben zwar auch eine Verschiebung ins Warme aber insgesamt wirkt die Bildqualität nicht sichtbar gemindert. Wann immer es geht, schraube ich den Filter ab.
6.000 Euro für eine Blende?
Ist das Noctilux einfach ein fettes Objektiv mit einer sehr großen Öffnung? Im Vergleich mit dem Summilux zahle ich fast 6.000 Euro für diese eine Blende. Und im realen Leben kann ich nur selten mit f0,95 fotografieren. In der Praxis benutze ich es meistens zwischen f0,95 und f2.4 und für Landschaften oder ähnliches blende ich weiter ab.
Die Frage ist: wenn ich vorher weiß, dass ich wohl nicht mit f0,95 fotografieren werde, nehme ich dann das Summilux oder das Noctilux mit? Das Summilux ist kleiner, leichter, komfortabler und technisch eigentlich besser. Trotzdem, das Noctilux hat eine sehr eigene Signatur. Wenn man alles richtig macht, dann sehen die Bilder wundervoll aus. Sie sind organischer, tiefer und dynamischer als mit dem Summilux. Außerdem verwende ich intensiv das Summilux 35mm FLE und das Noctilux passt von der Darstellung der Farben und der Dynamik sehr gut zu diesem Objektiv. Diese beiden Objektive sind eine ideale Kombination.
Fazit
Das Noctilux ist ein phantastisches Objektiv mit gestalterischen Möglichkeiten wie kaum ein anderes. Die Qualität geht über die enorme Anfangsöffnung hinaus. Das fließende Bokeh, die Farben und der klare, lebendige Eindruck der Bilder beeindruckt über den gesamten Blenden-Bereich. Außerdem passt es bestens zu dem Summilux 35mm Asph FLE. Leider erkauft man sich diese Leistung mit viel Geld, viel Gewicht und den Verlust des dezenten Fotografierens. Jedes mal wenn ich es benutze finde ich es zu groß und sperrig. Ich warte auf ein handliches Summilux 50mm APO, welches bestimmt irgendwann kommt und die überragende Qualität des APO Summicron 50mm fortführt. Dann würde ich auch auf die eine Blende verzichten (vielleicht).